Antikes erfordert Akribie


FRANKFURTER Nachrichten .  28. Dezember 1993 /

Mit Schwung fährt der Hobel über das schmale, lange Holzstück. Späne fallen. Kraft und Geschick muß der Frankfurter Möbelrestaurator Christoph Dettmering aufwenden, um sein Werkzeug zu führen. Nicht ohne Stolz führt er den Hobel vor. Für den Laien sieht er alt und abgetakelt aus. Doch für den Möbelrestaurator ist er wertvoll, denn um Möbel stilecht zu restaurieren, sind oft alte, traditionelle Handwerks-Techniken von Nöten. Die Verwendung von altem, funktionstüchtigem Werkzeug gibt da den letzten Schliff.

Umfassende handwerkliche Fähigkeiten muß der Restaurator mitbringen, wenn er sich an den antiken Stücken zu schaffen macht. Die reine Schreiner-Arbeit muß jedoch mit grundlegenden kunstgeschichtlichem Wissen gepaart sein. Denn aus der epochalen Bestimmung einer Kommode lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die damals gängige Technik und Bauart ziehen. Die Basis für eine stilechte Restaurierung.
Kleiderschränke. Sekretäre, Kommoden. Tische und immer wieder Stühle, zählen zum Mobiliar, das dem 30jährigen Dettmering in der Regel in die Hände kommt. Für antik, wertvoll und erhaltenswert wird vieles befunden. Und wenn die Spanne zwischen Marktwert und Restaurierungskosten zu groß ist. wird die Restaurierung mit dem Liebhaberwert begründet.

Eine Restaurierung ist jedoch nicht immer angeraten. »Schließlich handelt es sich um einen Eingriff in das Original«, gibt Dettmering zu bedenken, wenn dem alten Möbelstück eine »neue Haut aufgezwängt wird«. Bei einer rigorosen Überarbeitung würde der wahre, gealterte Zustand, die Identität des Möbelstückes verloren gehen. »Vielmehr sei es jedoch wichtig Alterungsspuren sichtbar zu lassen«, so Dettmering, der lieber von der »Konservierung« eines Möbelstückes spricht. Historische Polituren regenerieren und die Patina erhalten, sei angesagt.

Die Arbeit am Möbel, egal ob Restaurierung oder Konservierung, ist jedoch immer ein vielschichtiger Prozeß. Muß die Oberfläche eines Möbels entfernt werden, geschieht das schlicht mechanisch. Die Reinigung der Oberfläche – Dettmering spricht von einem Gesicht, das mit alten Zügen interessant wird – muß jedoch vorsichtig geschehen. Mit Lösungsmittel-Versuchen. Wasser, Seife oder schärferen Mitteln, tastet man sich an die Oberfläche, die nicht verletzt werden soll, heran. Abschleifen oder ablaugen wären eher Radikalkuren.
Chemikalien sind in der Werkstatt jedoch nicht wegzudenken. Ungefährlich ist es nicht immer – auch für die Möbelbesitzer. Berüchtigt unter Restauratoren war etwa ein Mittel gegen Holzwürmer. Das war zwar wirkungsvoll. enthielt aber das Pflanzengift Lindan. Rückstände im behandelten Möbelstück seien nicht auszuschließen, so Dettmering. Auf die Verwendung umweltfreundlicher Chemikalien sollte Wert gelegt werden.

Intarsien, Marketerien, Vergoldungen oder Hand-Polituren – die Palette möglicher Arbeiten und Techniken an Möbeln und Holzobjekten ist umfassend. Ein Stuhlbein auszubessern, ist noch verhältnismäßig leicht. Zur wahren Puzzle-Arbeit kann jedoch die Ergänzung eines abgeplatzten Furniers werden. Das Problem, das richtige, passende Holz dafür zu finden, ist jedoch ein generelles Problem beim Restaurieren. Holzart, Maserung, Farbe, Ausbleichung und andere Eigenschaften müssen oder sollten mit dem Original übereinstimmen. Für Dettmering wird deswegen jede Keller-Entrümpelung, jeder Trödel-Haufen auf der Straße mit alten Hölzern und Möbeln zur willkommenen Fundgrube. Soweit der Platz reicht, sammelt er in seiner Hinterhof -Werkstatt im Frankfurter Nordens alte Hölzer. Unter speziellen Rahmenbedingungen wird Holz auch bewußt abgelagert: Licht, Temperatur und Feuchtigkeit sind hier Faktoren. Beim Ergänzen von wichtigen Teilen – neben entsprechenden Hölzern werden oft auch Scharniere, Schlösser, Ringe oder Griffe benötigt – hilft das Restauratoren-Versandhaus weiter.

Bei der Art der verwendeten Materialien spielt wieder die stilgeschichtliche Bewertung des Möbels eine Rolle. Knochen, Elfenbein oder Holz, Harze, Wachse, Pigmente, Beize und Leime … – je nach Entstehungs-Epoche können sich die Materialien unterscheiden. Die Auswahl ist oft groß.

Die Dauer einer Restaurierung gestaltet sich demnach recht unterschiedlich: Von fünf bis 200 Stunden reicht der Zeitrahmen, so Dettmering. Abgerechnet wird nach Stundenlohn und Materialkosten. Zu den Kunden zählen vorwiegend Privatleute – richtig interessant wird es jedoch, wenn Museen Restaurie-rungs-Aufträge vergeben. Der Anspruch an die Qualität der Arbeit sollte jedoch nicht vom Wert eines Möbels abhängen, meint Dettmering. Bei ihm kommt denn auch jedes Möbel ins Atelier. Denn »schäbige Möbel« gibt es für ihn als Restaurator nicht.

Bernd Günther

24. 06. 2012 |